Lisa Meyerlist: «Auf den Tod warten doch alle»

Am 2. Dezember 2008 ist Lisa Meyer-List im Alter von 94 Jahren im Betagtenzentrum Eichhof friedlich gestorben. Ende September konnte ich mit ihr ein langes Gespräch führen - über ihr Leben, das Alter und das Leben im Altersheim.

Im Spiegelsaal - aus SFDRS Sternstunde Kunst: Lisa - Dieses Leben, Gopfridstutz! - Die Fotoreporterin Lisa Meyerlist (Mai 2007)
Im Spiegelsaal. Aus SFDRS «Sternstunde Kunst: Lisa - Dieses Leben, Gopfridstutz! - Die Fotoreporterin Lisa Meyerlist» Mai 2007


Lisa Meyer-List, geboren im September 1914, fällt auf. Ist es die elegante Kleidung mit kecken Farben und Accessoires? Ist es die Art, wie sie den Rollstuhl zielstrebig durch die Cafeteria steuert? Oder ist es der herausfordernde Blick, mit dem sie mich anschaut?

Lisa Meyerlist. Das war die Grande Dame der Fotografie, als ich ein journalistisches Greenhorn war. Sie war ein Star in der Luzerner Bohèmeszene. Sie war, Hoffotografin der Internationalen Musikfestwochen Luzern (heute Lucerne Festival), auf Du und Du mit den Grössten der klassischen Musik. Lisa Meyerlist. Die Frau mit der Leica. Reporterin in 82 Ländern dieser Welt. Freischaffend ein Leben lang.

Jetzt wohnt Lisa Meyer-List im Alters- und Pflegeheim Eichhof. Ihre äussere Welt ist klein geworden: Zimmer, Station, Eingangshalle, Cafeteria, Park. Aber Lisa Meyer-Lists innere Welt ist gross geblieben. «82 Länder», sagt sie, «das kann mir niemand nehmen. Ich hatte ein erfülltes Leben. Eigentlich sollte man das Leben nicht noch künstlich verlängern. Ich habe alles gesehen, alles erlebt, gut gelebt – eigentlich kann da ja gar nichts mehr kommen.» Lisa Meyer-List hat noch nie um den Brei herum geredet. Sie war immer eine Frau des offenen Worts, manchmal des verletzend offenen Worts.

Nein, sagt sie, die Küche passe ihr nicht – wie könnte die beste Zentralküchen-Kost einer Frau auch «passen», die 70 Jahre Herrin über ihre eigenen Töpfe war? «Aber», sagt sie dann, «das macht ja auch nichts. Ich esse ohnehin fast nichts mehr. Ich bin ja froh, dass ich hier noch atmen darf.»

Heimleben und Lisa Meyer-List – kann das zusammengehen? Es kann. In ihrem Zimmer hat sie ihr Atelier eingerichtet. Sie koloriert Fotos, auch eigene. Aus alten Schwarz-Weiss-Bildern werden bunte Schauwerke. Von ihrem Zimmer hat die alte Frau freien Blick in den Garten. Hier, am Fenster, hält sie Hof. «Ich habe zwei Freunde, die kommen regelmässig zu Besuch», erzählt Lisa Meyer-List. «Zwei Raben. Zuerst kommt immer der Mann, natürlich.» Natürlich. Das war schon früher so, als die Welt noch grösser war. «Und dann kommt auch das Weibchen, und dann rufen sie Abrakadabra.»

Langweilig – nein, langweilig sei es ihr nicht, sagt Lisa Meyer-List. «Ich habe Fantasie, und deshalb bin ich ja auch nicht allein. Ich rede viel mit den Leuten, mit meinen alten Freunden. Die sind alle schon lange tot.» Sie blickt sich in der Cafeteria um und sagt: «Im Heim dürfte es schon etwas fröhlicher sein. Man muss ja nicht ständig den Tod spüren, der ist ja sowieso da, es warten doch alle auf ihn.» Sie selbst versucht bei Gemeinschaftsanlässen ihre Heiterkeit einzubringen. Lisa singt. «Sie haben schon gesagt, ich soll nicht so schnell wieder gesund werden, sonst wird’s wieder so langweilig hier», lacht sie.

Lisa Meyer-List erzählt, wie sie in den Eichhof gekommen ist. «Das müssen sie schreiben, das ist lustig.» Also denn: Sie wohnte in ihrer kleinen Wohnung im Hirschmattquartier, oberster Stock mit Lift. «Ich bin ein bisschen alt, da ist man halt nicht so z’wäg und wird echli gwagglig. Aber ich konnte noch viel ausgehen und mit Freunden ein Glas Wein trinken. Und ich hatte einen guten Rollstuhl.» Dann fiel sie eines Morgens im Badzimmer um, konnte nicht mehr aufstehen, die Dusche lief, Blut floss und die Tür war mit einer Kette gegen Einbruch gesichert. Lisa Meyer-List löste den Alarm aus. «Zufällig hatte ich den Bändel am Arm.» Der Schlüsseldienst kam, «ein kleines Männchen mit einer grossen Zange», und schliesslich musste man die Kette aufsägen um Frau Meyer-List zu bergen. «Das Bild in der Ambulanz war so lustig, der Arzt und ein junger Fahrer und der Rollstuhl und dazwischen ich halbblutt und voller Blut.» Einen Fotoapparat habe sie nicht dabei gehabt.
(Der Text erscheint in einer Publikation zum Betagtenzentrum Eichhof, Luzern)

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